Handy beschlagnahmt – Voraussetzungen, Risiken und Strafverteidigung

Ist ein Handy beschlagnahmt nach § 94 StPO, ist das ein rechtlicher Hochrisiko-Bereich: Minimale Voraussetzungen treffen auf maximal-intime Daten. Die Eingriffsschwelle für eine Handy Beschlagnahme nach § 94 StPO ist äußerst niedrig, die anschließende Datenauswertung dagegen nahezu grenzenlos. Dieser Beitrag ordnet die Rechtslage ein, erläutert die verfassungsrechtlichen Risiken und skizziert die Leitplanken, die künftig zum Schutz persönlicher Daten erforderlich sein könnten.


1. Gesetzliche Ausgangslage

Ein Smartphone kann nach § 94 StPO beschlagnahmt werden, wenn es als Beweismittel von Bedeutung sein kann – die sogenannte einfache Beweisrelevanz. Schon die bloße Möglichkeit, dass sich auf dem Gerät Spuren einer (auch geringfügigen) Straftat oder sogar nur einer Ordnungswidrigkeit befinden, genügt. Ein richterlicher Beschluss ist zwar vorgesehen (§ 98 Abs. 1 StPO), fehlt in der Praxis jedoch häufig oder wird erst nach der Sicherstellung eingeholt.

Ein Smartphone ist nach deutschem Recht zunächst ein „Gegenstand“ i.S.d. § 94 StPO. Die Norm regelt in zwei klaren Sätzen den Zugriff der Ermittlungsbehörden:

„(1) Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.
(2) Befinden sich die Gegenstände im Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme.Gesetze im Internet

  • Sicherstellung (Abs. 1) bedeutet schlichtes Wegnehmen zur Beweissicherung, wenn niemand widerspricht.

  • Beschlagnahme (Abs. 2) ist der staatliche Zwangseingriff gegen den Willen des Inhabers.

  • Entscheidend ist allein die einfache Beweisrelevanz: Es reicht aus, dass das Gerät „von Bedeutung sein kann“ – ein extrem niedriges Eingangstor, wie der Gesetzgeber es 1879 (!) formulierte.

2. Formelle Voraussetzungen – Richtervorbehalt, Gefahr im Verzug

Nach § 98 Abs. 1 StPO darf eine Beschlagnahme grundsätzlich nur der Ermittlungsrichter anordnen:

„Beschlagnahmen dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen […] angeordnet werden.“ Gesetze im Internet

  • Ein Gefahr-im-Verzug-Vermerk genügt nicht; die Staatsanwaltschaft muss konkret darlegen, warum keine richterliche Entscheidung erreichbar war.

  • Wird trotzdem ohne Beschluss gehandelt, muss binnen drei Tagen eine richterliche Bestätigung erfolgen (§ 98 Abs. 2 S. 1 StPO) – fehlt diese, ist das Gerät unverzüglich freizugeben.

  • Der richterliche Beschluss muss Tatvorwurf, Tatzeit, Tatort, konkretes Gerät und den erwarteten Beweiswert benennen – bloße Floskeln genügen nicht.

3. Materielle Voraussetzungen – von „einfachem“ zu „qualifiziertem“ Verdacht

  1. Anfangsverdacht (§ 152 II StPO)
    Ein einfacher(!) Anfangsverdacht reicht, um die Beschlagnahme zu ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese niedrige Schwelle in historische Entscheidungen übernommen, was in Zeiten digitaler Massendaten inzwischen heftig kritisiert wird. Es reichte eine belastende Aussage oder eine unübersichtliche Situation mit der Polizei, damit ein Handy beschlagnahmt werden kann.

  2. Einfache Beweisrelevanz
    Diese Minimalvoraussetzung wird beim Smartphone praktisch immer bejaht wird: Standort-, Chat- oder Browserdaten können stets irgendeinen Beweis liefern. Dadurch verliert die Eingriffsvoraussetzung ihre eingrenzende Funktion.

  3. Notwendig qualifizierte Beweisrelevanz
    Für die Beschlagnahme von Mobiltelefonen müsste eine Erfolgstauglichkeit ähnlich § 103 I StPO gefordert werden: Es müssen bestimmte Tatsachen auf einen Erfolg der Maßnahme hinweisen. Ohne diese Hürde droht eine „Entgrenzung der Ermittlungsmaßnahme“.

4. Inhaltliche Auswertung – das zweite, oft übersehene Problem

  • Mit forensischer Software (z. B. Cellebrite) wird meist ein Komplett-Abbild („Full Dump“) gezogen; sogar gelöschte Daten und Cloud-Konten sind erreichbar.

  • Die Betroffenen wissen nicht, wann, wie lange und welche Daten ausgewertet werden – der Vorgang entzieht sich ihrer Kontrolle und verwischt die Grenze zwischen offenem und verdecktem Eingriff.

  • Schutzniveaudiskrepanz: Heimlicher Online-Zugriff unterliegt strengen IT-Grundrechtsschranken, die offene Beschlagnahme hingegen fast gar keinen. Diese Diskrepanz ist nicht zu erklären und verlange höheres Schutzniveau.

5. Verfassungsrecht Handy Beschlagnahme

Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2008 gewarnt, dass „bereits die Beschlagnahme oder Kopie von Speichermedien […] ein beträchtliches Potential für die Ausforschung der Persönlichkeit“ birgt.

6. Praxisdefizite – warum wir als Verteidigung handeln müssen

  1. Goldstandard der Ermittler
    Smartphones landen heute routinemäßig in der Asservatenkammer. “Die Beschlagnahme von Smartphones zählt anscheinend inzwischen zum „Goldstandard“ kriminalistischer Tätigkeit.” (El-Ghazi: Beschlagnahme und Auswertung von Handys, Laptops & Co. NJW-Beil 2024, 46)

  2. Fehlender Kernbereichsschutz
    Weder §§ 94 ff. StPO noch die Rechtsprechung bieten Regeln, intime Datenauszublenden – der Gesetzgeber hat diese Lücke nie geschlossen.

  3. Unkontrollierte Dauer
    Selbst wenn der Anlass längst entfallen ist, werden Geräte oft monatelang behalten. In vielen Fällen erfolgt die Herausgabe erst nach Ablauf von Jahren.

7. Verteidigungsstrategie – was Strafverteidiger tun können

  • Der Beschlagnahme ausdrücklich widersprechen (§ 98 II StPO), wenn Beschluss fehlt oder Gefahr-im-Verzug nur pauschal behauptet wird.

  • Beschwerde gegen gerichtliche Entscheidung – Verhältnismäßigkeit: Einhaltung von Tatwert, Tatbezug und enger Datenfilterung einfordern. Gerichte müssen begründen, warum nicht bloß ein Datenspiegel oder selektiver Zugriff genügt.

  • Bei Grundrechtsverletzungen: Verfassungsbeschwerde
  • Im Hauptverfahren: Der Beweisverwertung widersprechen

8. FAQ – „Handy beschlagnahmt“: die häufigsten Mandantenfragen

FrageAntwort
Wie lange bleibt ein Handy bei der Polizei beschlagnahmt?Das Gesetz kennt keine starre Frist. Praktisch reichen die Spannweiten von wenigen Tagen bis über ein Jahr. Wir beantragen sofort Herausgabe oder Kopie, wenn der Zweck wegfällt oder unverhältnismäßig wird. In jedem Fall sollte Beschwerde gegen die gerichtliche Entscheidung eingelegt werden.
Wie wertet die Polizei ein Handy aus?Mit Spezialsoftware wird zunächst ein bit-genaues Abbild erstellt. Danach durchsuchen Algorithmen Chats, Bilder, Standort- und Cloud-Daten automatisiert; der Betroffene kann den Ablauf nicht überwachen.
Wann wird ein Handy von der Polizei beschlagnahmt?Die Polizei kann ein Handy beschlagnahmen, wenn ein einfacher Anfangsverdacht einer Straftat oder sogar eine Ordnungswidrigkeit besteht und das Telefon potenziell Beweise enthält. Das ist nahezu immer der Fall – deshalb fordern wir eine höhere Eingriffsschwelle.
Bekommt man ein beschlagnahmtes Handy zurück?Grundsätzlich ja. Entweder nach Wegfall des Beweiszwecks oder nach erfolgreicher Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsgerichts.
Handys, die beschlagnahmt wurden, können im Urteil aber auch eingezogen werden.

9. Muster-Antrag für Beschwerde gegen Beschlagnahme

Es wird beantragt, gerichtlich festzustellen, dass die Beschlagnahme des Mobiltelefons rechtswidrig war und das Gerät unverzüglich herauszugeben ist.

Handy beschlagnahmt 94 StPO

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Konstantin Grubwinkler
Konstantin Grubwinkler zählt zu den bekanntesten Strafverteidigern Deutschlands. Er ist renommierter Fachanwalt für Strafrecht und bundesweit gefragter Spezialist für Betäubungsmittelstrafrecht und Konsumcannabisgesetz.

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