Beschlagnahme des Handys verfassungswidrig – Österreich, ein Vorbild

Sicherstellung von Handys in Strafverfahren ohne richterliche Bewilligung ist verfassungswidrig, Österreichischer Verfassungsgerichtshof VfGH 14.12.2023, G 352/2021.

Wir fordern: Die Beschlagnahme und Auswertung von Mobiltelefonen muss auch in Deutschland restriktiver geregelt werden.

Datenträger können in Österreich ohne richterliche Genehmigung beschlagnahmt werden. Das ist verfassungswidrig und muss in Zukunft strengeren Voraussetzungen unterworfen werden. Wir hoffen, dass die Begründung des Verfassungsgerichtshofs auch im deutschen Recht Nachahmer finden wird.

Unserer Ansicht nach verstößt die aktuelle Rechtslage in Deutschland bezüglich der Beschlagnahme von Mobiltelefonen gegen Menschenrechte. Zwar unterliegt die Beschlagnahme in Deutschland grundsätzlich dem Richtervorbehalt, die Praxis in der Strafverfolgung entwickelt sich jedoch immer schärfer. Beschlagnahmen dürfen nach § 98 I 1 StPO nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (=Polizei) angeordnet werden. Der strafprozessuale Umgang mit Mobiltelefonen entwickelt sich in Deutschland in eine bedenkliche Richtung.

Eskalierende rechtliche Situation in Deutschland

Mobiltelefone und darauf gespeicherte Daten werden in Deutschland rechtlich behandelt wie Dokumenten. Die Beschlagnahme und Sicherstellung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften (s.o.), die Vorabprüfung des Inhalts z.B. im Rahmen einer Durchsuchung ist in § 110 StPO, der „Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien“ geregelt und unterliegt seit 50 Jahren keinem Richtervorbehalt mehr.

Seit der erschütternden Entscheidung des LG Ravensburg (Beschl. v. 14.02.2023 – 2 Qs 9/23 jug.) verbreitet sich in der Justiz mehr und mehr die (bisherige) Mindermeinung, Handys dürfen im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b I Alt. 1 StPO gegen den Willen des Betroffenen auch unter Anwendung von unmittelbarem Zwang biometrisch entsperrt werden. In der Entscheidung ging es ursprünglich um das Entsperren mittels Fingerabdruck. Gegen den Willen unter Anwendung von unmittelbarem Zwang biometrisch entsperren bedeutet in der Praxis aber auch: Mindestens zwei Angehörige der Polizei halten Betroffene mit Gewalt fest, während das Mobiltelefon vor das Gesicht gehalten wird um es mittels Gesichtserkennung zu entsperren. Teilweise wird dafür noch gewaltsam das Auge geöffnet. Das sind die vorhersehbaren Auswüchse solcher Rechtsprechung.

Die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b I Alt. 1 StPO unterliegt ebenfalls keinem Richtervorbehalt. Die Polizei muss also schon nicht versuchen, einen Richter zu erreichen, sondern kann die gewaltsame Entsperrung selbst anordnen und sofort durchführen. Im nächsten Schritt kann die Polizei sofort eine Anordnung der Staatsanwaltschaft nach § 110 StPO einholen und sofort den Inhalt des Mobiltelefons und Privateste Daten, Bilder, Videos, Chatnachrichten usw. sichten, ohne dass ein Gericht darüber entschieden hat.

Hier kommen zwei Vorschriften zusammen, die dem Wortlaut nach nicht auf Mobiltelefone und die damit zusammenhängenden grundrechtlichen Probleme zugeschnitten sind: § 110 StPO und § 81b I Alt. 1 StPO.

Die deutsche Praxis in Bezug auf den Umgang mit Mobiltelefonen im Strafprozess verkennt den Stellenwert heutiger Mobiltelefone und dem Inhalt, der dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzuordnen ist. Zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gemäß Art. 1 I GG gehört die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung (BVerfG, Urteil vom 03. März 2004 – 1 BvR 2378/98)

Die Lage bei Mobiltelefonen ist vergleichbar mit der von Tagebuchaufzeichnungen. Die strafprozessuale Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen sind Ausfluss des dem jeweiligen Tagebuchverfassers in Art. 2 I i.V.m. 7 Art. 1 I GG verbürgten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. (BGH, Beschluß vom 19.06.1998 – 2 StR 189/98; NStZ 1998, 635).

Der Unterschied ist, dass über den Inhalt eines Smartphones nicht nur der Kernbereich teilweise betroffen ist sondern bei dem meisten von uns das komplette Leben nachvollzogen werden kann.

Viele von uns werden zugeben müssen, dass ihr Smartphone sogar einen Großteil des höchstpersönlichen Lebensbereichs enthält.

Noch dramatischer wird die Sache wenn es um Dritte geht. Auf nahezu jedem Mobiltelefon finden sich auch private Nachrichten, Sprachnachrichten, Videos, Bilder, Kalendereinträge völlig unbeteiligter Dritter. Insbesondere im Betäubungsmittelstrafrecht ist die Erlangung von Erkenntnissen über Dritte in der Mehrzahl der Fälle sogar Sinn und Zweck der Beschlagnahme.

Auch in Deutschland muss in naher Zukunft der strafprozessuale Umgang mit Mobiltelefonen restriktiver geregelt werden.

Der Österreichische Verfassungsgerichtshof bringt es auf den Punkt:

Auf diese Weise können umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt werden, die detailreiche Rückschlüsse auf das Verhalten, die Persönlichkeit und die Gesinnung des Betroffenen zulassen. Die auf dem Datenträger gespeicherten Verbindungsdaten können auch Vermutungen über Kommunikationsinhalte nahelegen, weil offengelegt wird, ob, wann, wie oft und mit wem auf welchem Weg Kontakt aufgenommen wurde (vgl. dazu schon VfSlg. 19.892/2014; EuGH 8.4.2014, Digital Rights Ireland ua., C-293/12 ua., Rz 27; EuGH 13.5.2014, Google Spain und Google, C-131/12, Rz 80 ff; EuGH 21.12.2016, Tele2 Sverige AB, C-203/15, Rz 98 f.). Darüber hinaus haben Strafverfolgungsorgane – unabhängig von Kommunikationsvorgängen des Betroffenen – potentiell Zugriff auf alle sonstigen auf dem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten (sensiblen oder sonstigen personenbezogenen) Daten unterschiedlicher Art. Dies kann etwa Fotos, Videos, Standortdaten, Suchverläufe oder Gesundheitsdaten betreffen, die insgesamt den Strafverfolgungsorganen gemeinsam mit den oben erwähnten, gespeicherten Kommunikationsinhalten die Erstellung eines vollständigen Profils des Betroffenen ermöglichen.

Eine weitere Besonderheit der Auswertung von auf einem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten Daten liegt darin, dass bei Vorhandensein bestimmter Daten(mengen) über die betroffene Person mittels prädiktiver Analyse sogar dann Rückschlüsse auf das Verhalten, die Vorlieben, die Gesinnung und damit ganz allgemein auf die Persönlichkeit des Betroffenen gezogen werden können, wenn diesbezüglich keine konkreten Daten auf dem sichergestellten Datenträger vorhanden sind.

Österreichischer Verfassungsgerichtshof G 352/2021-46 14. Dezember 2023

Verstoß gegen Datenschutz und Recht auf Privatleben – Gesetzesbestimmungen ab 1.1.2025 außer Kraft

Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat am 14.12.2023 entschieden, dass die Sicherstellung von Handys im Strafverfahren Datenschutzgesetz und das Recht auf Privatleben verstößt.

Der Verfassungsgerichtshof hat dem Antrag eines Unternehmers stattgegeben, gegen den wegen des Verdachts der Untreue ermittelt wurde. Die entsprechenden Bestimmungen in der Strafprozessordnung (§ 110 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 sowie § 111 Abs. 2 StPO) sind damit ab 01.01.2025 außer Kraft.

Genau wie in Deutschland, müssen auch in Österreich Eingriffe in Grundrechte verhältnismäßig sein. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit darf die Schwere des Eingriffs in Grundrechte nicht größer sein als die Bedeutung des Zwecks der Maßnahme, dem Strafverfolgungsinteresse (Kriminalitätsbekämpfung und Aufklärung von Straftaten).

Eingriff in Grundrechte ist unverhältnismäßig

Nach Auffassung des VfGH ist die Verhältnismäßigkeit aus folgenden Gründen nicht gewahrt:

Das Mobiltelefon ermöglicht nicht nur ein punktuelles Bild über das Verhalten der Betroffenen, sondern einen umfassenden Einblick in wesentliche Teile vieler Lebensbereiche. Es „können umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt werden, die detailreiche Rückschlüsse auf das Verhalten, die Persönlichkeit und die Gesinnung des Betroffenen zulassen“.

Ein Vergleich mit der Sicherstellung anderer Gegenstände ist verfehlt, weil die ermittelten Daten mit anderen Daten verknüpft und abgeglichen werden können; unter Umständen können auch gelöschte Daten wiederhergestellt werden.

Der Verfassungsgerichtshof betont die Intensität des Eingriffs in den Datenschutz und damit in das Privatleben aus folgenden Gründen:

  • Sicherstellung ist bereits bei einem Anfangsverdacht auf eine einfache Straftat möglich.
  • Sicherstellung von Telefonen nicht verdächtigter Dritter ist möglich (dafür kann schon ausreichen, dass die dritte Person den Verdächtigen kennt, § 111 II StPO),
  • Es sind auch sämtliche Personen betroffen, deren Daten auf dem Telefon gespeichert sind.

„Die derzeit geltenden Rechtsmittel reichen nicht aus, um den erforderlichen Rechtsschutz der Betroffenen gegen die Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsorgane zu garantieren. Die Betroffenen haben nämlich keine Kenntnis von der tatsächlichen Vorgangsweise der Sicherheitsbehörden (Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei) bei der Auswertung und vom Umfang der ausgewerteten Daten.“ (https://www.vfgh.gv.at/medien/Sicherstellung_Datentraeger.php)

Neben dem Zugriff auf körperliche Datenträger ermöglicht § 110 StPO auch den Zugriff auf auf Datenträgern gespeicherte Daten, ohne dass das Speichermedium (physisch) durch die Strafverfolgungsorgane in Gewahrsam genommen wird. Dies ergibt sich aus § 110 Abs. 4 und § 111 Abs. 2 StPO, in denen von „sichergestellten Informationen“ die Rede ist (zB Reindl-Krauskopf/Salimi/Stricker, IT-Strafrecht, 2018, Rz 5.3). Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Sicherstellung von Datenträgern und der Sicherstellung sonstiger Gegenstände im Sinne des § 109 Z 1 lit. a StPO liegt nicht in der (Anordnung der) Sicherstellung selbst, sondern in der Möglichkeit der Auswertung der auf einem Datenträger gespeicherten Daten und der damit verbundenen Rückschlüsse auf die betroffene Person. Die auf einem sichergestellten Datenträger gespeicherten Daten sind potentiell äußerst umfangreich und können unter anderem mit sonst verfügbaren Daten (nicht nur der Strafverfolgungsorgane) verknüpft und gespeichert werden. Diese Daten können (auch bei Verknüpfung mit sonstigen Daten) ein umfassendes Bild über das bisherige und aktuelle Leben des von der Sicherstellung Betroffenen geben, wie dies bei der Auswertung sonstiger Gegenstände im Sinne des § 109 Z 1 lit. a StPO in der Regel nicht der Fall ist.

Österreichischer Verfassungsgerichtshof G 352/2021-46 14. Dezember 2023

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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Ralph Eisermann
    28. April 2024 1:18

    In Österreich ist manches besser, insbesondere läuft ja auch weniger über das gerichtliche Strafrecht und mehr über das Verwaltungsstrafrecht. Auch beim Strafbefehl gibt es erhebliche Unterschiede, wie in anderen Ländern wie Frankreich zum Bleistift ist es nicht möglich einen Strafbefehl gegen den Willen des Beschuldigten zu erlassen. Dafür gibt es einen Rechtsanspruch auf Diversion.

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