Am 15.11.2017 wurde vor dem Amtsgericht Laufen eine Körperverletzung mit schweren Folgen für das Opfer verhandelt.
Kaum irgendwo gehen Theorie und Praxis so weit auseinander wie bei § 32 I StGB, der Notwehr.
Nach § 32 I StGB handelt nicht rechtswidrig – bleibt also straffrei – wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist. Notwehr ist nach § 32 II StGB „die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“
Erforderlich ist die Verteidigungshandlung dann, wenn sie die endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Die Handlung muss aber auch das am wenigsten schädliche Mittel von mehreren gleich sicheren Mitteln zur Erreichung des Abwehrerfolges bilden. Der Angegriffene braucht sich daher nicht auf das Risiko einer ungenügenden Abwehrhandlung einzulassen (Lackner/Kühl/Kühl StGB § 32 Rn. 9, beck-online). Der BGH hat insbesondere entschieden, dass sich der Angegriffene auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang nicht einzulassen hat. Insbesondere muss die Verteidigungshandlung nicht verhältnismäßig sein. Es darf grundsätzlich vor Gericht keine Abwägung zwischen der Gefährlichkeit erforderlicher Verteidigungshandlung und der Gefährlichkeit des Angriffs stattfinden. Eine Interessenabwägung beginnt in der Strafrechtstheorie erst dort, wo die Tötung des Angreifers zur Verteidigung (geringwertiger) Sachgüter im Raum steht.
So viel zur Theorie.
Leider spricht die Strafrechtspraxis eine deutlich andere Sprache. Vor insbesondere süddeutschen Amtsgerichten wird fröhlich trotz bestehender Notwehrlage der sich Verteidigende verurteilt. Ausreden werden von Staatsanwaltschaften viele gefunden: Notwehrlage nicht nachweisbar, Angriff noch nicht gegenwärtig (also nicht unmittelbar bevorstehend), Verteidigung überschreitet das erforderliche Maß und so weiter und so fort.
So auch im Fall, der am 15.11.2017 verhandelt worden ist. Auch hier lehnte die Staatsanwaltschaft die Notwehrlage ab und beantragte Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Es wurden die üblichen Argumente ins Feld geführt: Ein Angriff habe nicht unmittelbar bevorgestanden, die Zeugen haben sich abgesprochen und die Verteidigungshandlung habe das notwendige Maß überschritten. Ebenso plädierte naturgemäß der Nebenklägervertreter. Besonders schwer wog hier, dass der Angreifer relativ schwer verletzt wurde und dauerhafte Schäden davon trug. Trotzdem besaß der Strafrichter hier die (insbesondere in Süddeutschland sehr seltene) Umsicht und den Mut, trotz der Verletzungen rechtsdogmatisch richtig auf Notwehr zu entscheiden und – wie von uns beantragt – freizusprechen.
Bildquelle: Freilassinger Anzeiger Nr. 268 vom 22. November 2017